Reitkunst und Meditation (Zen)
Was haben Zen (jap.: Meditation) und insbesondere Vertikale Reitkunst gemeinsam? Warum scheinen manche Reiter mit ihrem Pferd leicht und souverän zurechtzukommen, ja von einem Erfolg zum anderen zu gelangen, und bei anderen spürt man den stillen täglichen Kampf an jedem Tag? Worin liegt die überlegene, ruhige Souveränität eines Manuel Jorge de Oliveira mit seinen Pferden - man ist fast versucht zu sagen „Partnern“ - begründet und warum können wir Dressurakten der hohen, englischen Schule manchmal nur mit angespannter Kiefermuskulatur zuschauen?
Meditation im Sattel?
Mein Lebenspartner Dr. Michael Weh (enO) ist ein Zen-Meister und meditiert seit über 40 Jahren. Er lehrt auch in vielen Büchern eine leichter verständliche, westliche Form dieser fernöstlichen Weisheit. Dabei handelt es sich nicht um eine Religion, sondern um einen meditativen Weg der Befreiung von den Begrenzungen unseres eigenen Denkens. Zen-Übende sind meist ruhiger und gelassener, sehen die Welt in ungeahnter Klarheit; wer wünschte sich das nicht!
Ich bin von Stunde Null an mit Pferden aufgewachsen. Naturgemäß unterhalten wir beide uns fast täglich über Reitkunst und/oder Meditation. Und wir beide sind immer wieder fasziniert davon, welche Fülle an Parallelen sich in beiden Welten auftun.
Wir haben viel voneinander gelernt.
Was hat nun Zen-Meditation mit Reitkunst gemeinsam? Alles… so scheint es mir manchmal! Einige Aspekte für die vertikale Reitkunst möchte ich mit Euch teilen.
Über dem Sattel kein Reiter, unter dem Sattel kein Pferd
Die Überschrift ist die Abwandlung eines bekannten Zen-Spruches, nur heißt es in diesem natürlich „Sitzkissen“ statt Sattel. Erklären muss ich das nicht, lasst den Satz einfach ein wenig auf Euch wirken…
Als der Mensch, vielleicht die indianischen Ureinwohner Amerikas oder andernorts, das Pferd zähmten und ohne Sattel oder Zügel ritten, mussten beide eine geistige, emotionale und körperliche Einheit bilden, sonst hätte es nicht funktioniert. Von der ersten Annäherung bis zum fliegenden Galopp auf dem Hals des Pferdes liegend musste eine ungeahnte seelische Nähe zwischen beiden Lebewesen entstanden sein.
Inzwischen haben wir mit den Zügeln und Gebissen inklusive der Kandare machtvolle Mittel der Steuerung zur Verfügung, was zunehmend auch einen Verlust von Verständnis und Einfühlungsvermögen für das Pferd bedeuten kann und oft auch bedeutet. Und wie bei jedem effektiven Werkzeug, kann man es missbrauchen und sogar vergessen, dass es noch weitaus mehr und sensiblere Möglichkeiten gibt, mit dem Pferd zu kommunizieren, ja: Nicht Steuern sondern Kommunizieren, sollte die Maxime eines virtuosen, echten Reiters im Sinne von Manuel Jorge de Oliveira sein.
Warum ist Manuel Jorge de Oliveira so ein großartiger Lehrer und warum scheint jedes Pferd unter seiner Hand über sich hinauszuwachsen? Der Grund ist die Liebesbeziehung (platonisch) zwischen Schülern und Lehrer bzw. zwischen Reiter und Pferd! Wie auch bei Meditations- (Zen-) Lehrern, vielleicht bei allen Arten von guten Lehrern, so verinnerlichen Schüler auch in der Reitkunst am effektivsten, wenn sie nicht jedes Wort hinterfragen oder anzweifeln, sondern liebend gerne wie ein leeres Gefäß aufnehmen. Und genau das macht großartige Lehrer so wertvoll und zugleich selten: Sie werden von ihren Schülern bewundert und jedes ihrer Worte wird respektvoll aufgenommen. Sie besitzen dieses Charisma. Aber auch der Lehrer respektiert seine Schüler liebevoll in ihrem Bemühen, ohne von oben herab zu predigen!
Verstehen statt Wollen
Und genau so sollte eure Beziehung zu eurem Pferd aussehen: Liebevoll, respektvoll und konzentriert! Und genau dies werdet ihr von Eurem Partner mit Fell zurückbekommen! Laut Buddha und anderen spirituellen Größen ist das Verstehen die Voraussetzung für Liebe. Nur wer seinen Partner (Ehe, Pferd, Kinder) wirklich versteht, weiß was ihn antreibt, was er zu seiner Verwirklichung benötigt und wie er sich fühlt, kann liebend und damit auch mit Freude mit ihm koexistieren!
Beobachte deinen equinen Partner, wenn du dich ihm näherst, die Box oder das Paddock betrittst, ob er angespannt, knirschend und ängstlich wirkt, oder ob er sich dir neugierig und freudig zuwendet. Im ersten Fall gibt es dringenden Handlungsbedarf.
Freut sich dein Partner nach dem Anlegen von Zaumzeug und Sattel auf die gemeinsame Arbeit oder den Ausritt, oder spürst du Nervosität und Verkrampfung? Bist du selbst ängstlich und vom täglichen Beruf kaputt oder freust du dich ganz locker und mit positiver Energie auf die Stunde mit deinem vielleicht besten Freund?
Der Grundstein für eine echte Verbindung zu deinem Pferd wird in deinem eigenen Inneren gelegt. Nur wenn du selbst ruhig, zuversichtlich und ausgeglichen, gleichzeitig mutig und konzentriert bist, ganz bei der Sache im Hier und Jetzt, nur dann wirst du die Chance auf eine echte Einheit mit deinem Partner erhalten. Deine innere Stimmung und deine Energie überträgt sich schon weit vor dem Besteigen des Sattels auf dein Pferd. Es nimmt weit mehr wahr, als nur deine Stimme. Pferde sind als Fluchttiere extrem sensibel für feine Veränderungen der Umgebungsenergie, für die „Vibes“, die du aussendest. Natürlich spielt auch das ganze Umfeld eine Rolle, wie jeder Reiter von schreckhaften Pferden weiß.
Ein neues Lebewesen entsteht
Im Film Avatar wird die Verbindung der Seelen von Pferd und Reiter „Sahelu“ genannt. Genauso sollst du mit deinem Partner eins werden. Gib dein Ego auf, vergiss dein eigenes Wollen! Fühle was gut ist für dein Pferd, verstehe seine Energie, stelle dich darauf ein (Pacing: Mitgehen). Erst wenn dein Partner volles Vertrauen zu dir hat, dich liebt und nicht fürchtet, es dir recht machen will, dann kannst du ihn Führen (Leading), wohin euer gemeinsamer Weg für heute geht. Und das kann durchaus ernsthafte Arbeit sein. Aber zuerst musst du dich ganz auf dein Pferd einlassen, es fühlen. Erst dann wird es dir wirklich und gerne folgen, wohin auch immer du es lenkst.
Exzellente Reiter berichten dabei, dass sie sich EINS fühlen mit der Bewegung und mit dem Partner Pferd, sie bewegen sich wie ein einziges Wesen. Schenkeldruck und Zügelhilfen erfolgen wie von selbst und das Pferd scheint diese bereits vorauszuahnen. Ihr seid EIN neues Lebewesen geworden, durch Liebe und Verstehen!
Wie?
Was hier so schön beschrieben wird, scheint gar nicht so leicht in die Praxis umsetzbar zu sein. Wie kommt man an diesen Punkt des EINS-Seins:
Der erste Schritt überhaupt und jeden Tag muss von dir getan werden, in dir: Bevor du dich deinem Partner näherst, atme dreimal tief durch, mit geschlossen Augen, ganz ruhig. Dann stelle dir eine Minute vor, wie du eine vertrauensvolle, freudige Stunde mit deinem geliebten Pferd verbringen wirst, so als würdest du einen Video-Clip anschauen.
Dann erst gehe, lächelnd (!), zu deinem Partner und frage dich, wie es ihm geht, was gut für ihn ist und wie du ihn in seinem Sinne am besten entwickeln kannst. Dein Lächeln macht dich selbst cool und positiv. Lass alles ruhig angehen.
Im Sattel fühle den Herzschlag und die Atmung des Pferdes, bevor du mit leichten Übungen beginnst.
Wenn du derart an die Sache herangehst, jeden Tag, dann wirst du in wenigen Wochen, vielleicht schon sofort, fühlen, wie ihr beide ein neues Ganzes werdet!
Sehr zu empfehlen sind auch alle Übungen für dich, die deine innere Ruhe und Zuversicht fördern, wie Meditation, Autogenes Training, Yoga etc. Denn wie schon gesagt: Du bist der Grundstein für diese harmonische Seelenverbindung, aber du bekommst sie nicht umsonst. Ein wenig Bemühen und Geduld wird von dir schon eingefordert.
Herzliche Grüße, Alexandra
www.vertikalreiten.de
www.izen.world (Zen, Meditation)